Forensik-Seminar 2024

Auf schmalen Grat - Forensische Psychotherapie zwischen Absturz und Halt

06./07.12.2024

 

Markus G. Feil, Tilman Kluttig, Franziska Lamott, Mathias Lohmer, Corinna Wernz

 

Hier kommen Sie zum PDF-Flyer.

 

Psychotherapie in forensischen Institutionen ist mit Grenzüberschreitungen und extremer psychischer und physischer Destruktivität konfrontiert. All das muss ausgehalten und innerhalb der Behandlung modifiziert werden. Die Dynamiken von Macht und Ohnmacht, von Faszination und Verführung, Angst und Bedrohung innerhalb und außerhalb der forensischen Institutionen führen immer wieder zu extremen Positionen: zu einem beengenden Korsett rigider Vorstellungen von Sicherung, zu malignen Identifikationen und zur Bagatellisierung realer Gefahren. Dazwischen aber muss forensische Psychotherapie auf einem schmalen Grat Halt finden, um gelingende Begegnung, Entwicklungsspielräume und ausreichend Schutz vor Gefährdungen innerhalb und außerhalb forensischer Organisationen bieten zu können. Um all dies soll es in diesem Seminar gehen.

(1) Tilman Kluttig beschäftigt sich unter dem Titel „Lernen von Odysseus – ein dynamisches Konzept von Sicherheit in der forensischen Psychotherapie“ damit, wie ein Erstarren des therapeutischen Prozesses in Rigidität und Macht/Ohnmacht-Dynamiken verhindert werden, Exploration zugelassen, vor realen Gefährdungen geschützt, Halt geboten und intrapsychische und interpersonelle Sicherheit entwickelt werden kann. Paradigmatisch dafür steht Odysseus, der auf der Heimreise aus dem trojanischen Krieg manche Gefahren (nicht alle und auch nicht ohne Opfer) durch ein dialektisches Austarieren zwischen Extremen meisterte.

(2) Die beiden folgenden Beiträge stehen unter dem gemeinsamen Titel „Selbstwert um jeden Preis?“Corinna Wernz demonstriert im ersten Teil die Verstörungen durch Manipulationen der Wirklichkeit, wenn forensische Patientinnen dreist lügen, betrügen, verleumden und Anderen Delikte unterstellen. Die aufwendige Aufklärung von Regelverstößen deckt ein zentrales bewusstes wie unbewusstes Motiv auf: eine ständig vorhandene Bedrohung der existenziellen „inneren Sicherheit“. Rangkämpfe auf den Stationen offenbaren ein aufgeblähtes oder opernhaftes „falsches Selbst“ der Patientinnen. Franziska Lamott beschäftigt sich im zweiten Teil mit gefährlichen Kollusionen. Verstrickungen und grenzüberschreitende Liebesbeziehungen von Therapeutinnen zu Inhaftierten sind ein tabuisiertes Thema. Die Feinstrukturen der Psychodynamik bleiben meist im Dunkeln, finden keinen Eingang in Supervisionen oder kollegiale Gespräche. Anhand eines Briefwechsels zwischen einer Frau und einem wegen Mordes Inhaftierten analysiert Franziska Lamott diese Thematik. Das Material erlaubt es, Beziehungsdynamiken zu rekonstruieren, die auch Hinweise auf Entgleisungen in professionellen Kontexten geben können.

(3) In seinem Beitrag „Das Trauma durch Delinquenz un-sichtbar machen“ widmet sich Markus G. Feil der Rolle von Traumata im Zusammenhang mit Sexual- und Gewaltdelinquenz von Männern. Die Traumata der Patienten tauchen in der Übertragung und in den Reaktionen der Behandelnden und deren institutionellen Beziehungen wieder auf – und zwar unbewusst. Ihr Bezug zur Delinquenz kann über die Entschlüsselung tat-analoger Verhaltensweisen („offence analogue behaviour“) und von „dangerous liaisons“ zwischen Patienten und Professionellen hergestellt werden – damit letztlich deren Gefährlichkeit durch Behandlung verändert werden kann.

(4) Fall- und Teamsupervision unterstützen in der forensischen Psychotherapie die Arbeitsfähigkeit der Mitarbeitenden. Paranoide Projektionen, Polarisierungen sowie einschüchternde Real-Erfahrungen mit Patienten, im Team und in der Leitungshierarchie gefährden immer wieder das Erleben von Supervision als einem sicheren Raum. Mathias Lohmer befasst sich in seinem Referat „Supervision: leeres Ritual oder Raum für Klärung?“ damit, wie das Konzept der „psychologischen Sicherheit“ diesen Raum bereitstellen kann.

Auch in seinem elften Jahr dient das Seminar dem eigenen Lernen, unabhängig von der fachlichen Ausrichtung, dem Grad der Berufserfahrung und der Rolle in der eigenen Einrichtung. Das Seminar ist als ein Wechsel von Vorträgen und Fallarbeit angelegt. Die Fallarbeit erfolgt in kleinen Gruppen, die über die beiden Seminartage stabil zusammenbleiben, während die Supervisions- bzw. Gruppenleitungen in jedem Slot wechseln. Die Teilnehmenden können Fälle vorstellen, die gemeinsam unter supervisorischer Leitung bearbeitet werden. Nicht nur wegen dieser lebendigen Form gemeinsamer Fallarbeit ist das Seminar einzigartig im Kontext forensischer Fortbildungsveranstaltungen.

 

Freitag, 06.12.2024

13:00 – 13:30 Uhr Eröffnung

13:30 – 14:30 Uhr Referat und Diskussion

„Lernen von Odysseus - ein dynamisches Konzept von Sicherheit in der forensischen Psychotherapie“

Tilman Kluttig

14:30 – 14:45 Uhr Pause

14:45 – 15:45 Uhr Fallgruppen 1

15:45 – 16:00 Uhr Pause

16:00 – 17:30 Uhr Referat und Diskussion

„Selbstwert um jeden Preis

Corinna Wernz & Franziska Lamott

17:30 – 18:15 Uhr Abschluss und Apero

 

Samstag, 07.12.2024

09:00 – 10:00 Uhr Referat und Diskussion

Das Trauma durch Delinquenz un-sichtbar machen“

Markus G. Feil

10:00 – 11:00 Uhr Fallgruppen 2

11:00 – 11:30 Uhr Pause

11:30 – 12:30 Uhr Referat und Diskussion

„Supervision: leeres Ritual oder Raum für Klärung“

Mathias Lohmer

12:30 – 14:00 Uhr Mittagspause

14:00 – 15:00 Uhr Fallgruppen 3

15:00 – 16:00 Fallgruppen 4

16:00 – 16:30 Uhr Bericht aus den Fallgruppen und Abschluss

Forensik 2024

Anmeldung

Rücktrittsregelung:

Die Anmeldung ist mit der Platzzusage verbindlich. Bei Rücktritt wird eine Stornogebühr in Höhe von 50% erhoben. Bei Rücktritt weniger als 4 Wochen vor Fortbildungsbeginn wird der Gesamtbetrag in Rechnung gestellt.